Ein Thema – zwei Perspektiven. Das soll es jetzt öfter in kolumnenartiger Form geben. Heutiges Thema: (bedürfnisorientierte) Erziehung.
Patricia: Als ich schwanger wurde, hatte ich keine Ahnung von Erziehungsmethoden und ehrlich gesagt auch kein Interesse daran. Ich wusste, dass ich nicht alles so wie meine Eltern machen würde, einiges aber schon. Es sind andere Zeiten, wir sind verschiedene Menschen. Und ehrlich gesagt mag ich das Wort “Erziehung” schon mal per se nicht. Es klingt irgendwie nach Fräulein Rottenmeier aus Heidi. Und seien wir doch mal ehrlich. Wenn es heißt “Der XYZ ist aber gut erzogen”, klingt das, als wäre er im Militär aufgewachsen. Und wenn es heißt “Der XYZ ist aber schlecht erzogen”, hat man eh alles falsch gemacht. Doch heutzutage sagt man ja auch nicht mehr Erziehung, man sagt Beziehung. Was mir aber auch nicht so richtig gefällt. Das wiederum klingt nach komplett antiautoritärer Erziehung und Kindern, die ein Restaurant so auseinandernehmen, dass man danach auf Schadensersatz verklagt wird und das Land verlassen muss.
Ich bin normalerweise ein Mensch, der sich in Themen einliest. Es gibt kein Thema, bei dem mir nicht irgendein Buch zur Seite stehen kann. Doch zum Thema Erziehung hab ich bisher kaum etwas gelesen. Kurz nach Marlenas Geburt habe ich “artgerecht” gelesen und habe mich in so vielen Punkten wiedergefunden. Und ich werde definitiv, desto älter Marlena wird, noch ein paar andere Bücher zu dem Thema lesen. Einfach um mich inspirieren zu lassen und vor allem, um Marlenas Verhalten zu verstehen. In der Autonomiephase zum Beispiel. Doch 90% unserer “Erziehung” ist und bleibt intuitiv. Stefan und ich sind beide Bauchmenschen und Menschen, die sich regelmäßig reflektieren. Wir machen bei weitem nicht alles richtig, wenn es “richtig” überhaupt gibt. Und es gab schon die ein oder andere Situation, in der meine Geduld über Bord gesprungen ist und ich einfach nur gehofft habe, dass niemand eine versteckte Kamera bei uns installiert hat.
Ich finde es anstrengend und ehrlich gesagt auch überflüssig mich strikt an einem Erziehungsstil zu orientieren. Wenn ich mich aber doch für einen entscheiden müsste, dann den wohl am häufigsten missverstandenen – bedürfnisorientierte Erziehung/Attachment Parenting. Denn bedürfnisorientierte Erziehung wird meistens so verstanden, dass Eltern sich komplett darauf konzentrieren, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, niemals “Nein” sagen und im Endeffekt vergessen, wer sie selber mal waren, weil sich alles nur noch ums Kind dreht. Man darf bedürfnisorientierte Erziehung jedoch nicht mit sogenannten Helikoptereltern verwechseln. Eigentlich mag ich ja solche Schubladen gar nicht, doch ich musste feststellen, dass es sie wirklich gibt, die Helikoptereltern. Eigentlich geht es bei bedürfnisorientierter Erziehung darum, die Bedürfnisse aller(!) Familienmitglieder in Einklang zu bringen. Es gibt zwar Themen wie Stillen, Tragen und Familienbett, die eine große Rolle spielen, doch man muss diese Dinge nicht wie eine To Do-Liste abhaken, nur damit man bedürfnisorientiert “erzieht”. Stillen, Tragen und Familienbett passen nicht zu jeder Familie aus den unterschiedlichsten Gründen.
Wir haben ganz intuitiv alle drei Sachen gemacht bzw. machen sie noch (Familienbett). Und mit intuitiv meine ich: Noch am Tag vor der Geburt hatte ich keine Ahnung, ob Marlena bei uns im Bett schlafen würde, ich hatte keine Babytrage oder ein Tragetuch und wusste nur, dass ich gern stillen würde, aber nicht, wie lange. Als ich dann Marlena in meinen Armen hielt, wusste ich, dass sie auf jeden Fall bei uns im Bett schlafen würde, nach wenigen Tagen buchte ich eine Trageberatung, da Marlena sich nicht ablegen lassen wollte, und ich habe 14 Monate gestillt. Und all das habe ich nicht nur gemacht, weil es Marlena gut tat, sondern auch mir! Ich konnte und kann bis heute im Familienbett super schlafen und konnte so auch entspannt nachts stillen, beim Tragen hatte ich immer zwei Hände frei und musste auch nicht immer den Kinderwagen aus dem Keller holen und dank des Stillens hatte ich Marlenas Essen immer dabei und wurde außerdem mit zahlreichen Hormonen versorgt, die mich besser schlafen ließen und dank der ich gesund blieb.
Vor wenigen Tagen schrieb uns eine Leserin bei Instagram, dass sie keine große Kinderfreundin sei, aber wenn sie uns mit Marlena in unserer Mitte sähe, und wir dabei so wir selbst, cool, nonchalant, an der Welt interessiert, berufstätig/selbständig seien, dass ihr das tatsächlich Lust und Mut machen würde, es vielleicht doch mal mit einem eigenen Kind auszuprobieren. Mir blieb bei dieser zauberhaften Nachricht der Mund offen stehen. Und ohne uns hier selbst beweihräuchern zu wollen, muss ich zugeben, dass ich doch recht zufrieden damit bin, wie war das so hinkriegen. Natürlich gibt es Tage, an denen ich gern auswandern würde, doch die meiste Zeit macht es richtig Spaß, dieses Familienleben. Dieses “erziehen”, das eigentlich nur aus beobachten und kommunizieren besteht. Und wenn dann so ein Auswandertag kommt, ziehe ich mich zurück, nehme mir ganz egoistisch etwas Zeit für mich. Denn dann steht Mamas Bedürfnis mal an erster Stelle.
Stefan: Was mich an dem Thema Erziehung so richtig stört, ist, dass da jeder eine Meinung zu hat. Egal, ob schon Kinder vorhanden oder nicht. Früher hat man sich oft zu wenig um die Kinder gekümmert, Kindererziehung fand nebenbei statt, heute wird oft jeder Ratgeber verschlungen, jede Erziehungsform heilig gesprochen und sich über alles den Kopf zerbrochen. Diese Extreme und dann der Versuch des Überzeugens von anderen vom eigenen Weg, der nur der richtige sein kann, gibt es ja in allen Bereichen. Doch ich war zum Glück schon immer jemand, der gut die Ohren öffnen kann, also damit diese ganzen Tipps durch ein Ohr reinkommen und auf der anderen Seite wieder raus. Denn wenn man sich so wie wir dafür entschieden hat, bedürfnisorientiert zu erziehen, dann muss man etwas sehr Wichtiges besitzen und zwar Selbstbewusstsein. Denn auch bei uns gab es schon Situationen, wo andere Eltern dich wegen deines Handelns in der Situation komisch angucken.
Ich versuche dann bei anderen Eltern nicht immer gleich zu werten (natürlich fällt das oft auch schwer), wenn ich etwas sehe, dass ich anders machen würde. Denn ich kenne nicht die Gesamtsituation, weiß nicht, was vorher schon passiert, etc. Und habe, sofern es dem Kind anscheinend gut geht, nicht das Recht mir ein Urteil zu bilden, nur weil ich eine klitzekleine Aktion des Erziehungsstils jetzt mitbekomme.
Denn bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet für mich, der Situation entsprechend zu reagieren. Dabei ganz wichtig auch öfter auf sein Bauchgefühl zu hören, das einem schon meist sagt, was zu tun ist. Ein klassisches Beispiel ist das Schreien und wütend werden in der Öffentlichkeit oder generell. Nicht immer muss ich, nur weil ich Angst habe den Kampf zu verlieren, mein Kind schreien lassen, um zu zeigen, dass es jetzt nicht den eigenen Willen durchsetzen kann. Wir reden ja nicht von einem Hund, dem man Befehle beibringt und ca. 3000 Mal üben muss, bis er es verinnerlicht hat. Auch Marlena hatte schon schlechte Tage, wenn sie einen neuen Zahn bekommen oder vielleicht ein Sprung hatte (aus unserer Erfahrung gibt es sie wirklich, das Kind kommt einem dann plötzlich wie komplett verändert vor), an denen dann schon morgens alles sch… ist. Und dann kommt es schon vor, dass sie während des Frühstücks bereits ihren vierten Heulkrampf hat, weil ihr etwas nicht passt. Natürlich kann ich sie jetzt einfach schreien lassen, doch ich habe einfach das Gefühl, dass sie selbst ja gar nicht weiß, was da jetzt los ist und daher ist es für mich dann in der Situation wichtig, sie in den Arm zu nehmen und sie zu beruhigen. Was mir als Kind oft gefehlt hat, war das Gefühl verstanden und ernst genommen zu werden und daher muss ich ihr in diesen Situationen eine Stütze sein und nicht auf Teufel komm raus noch meinen Willen durchsetzen wollen oder über sie lachen, weil mir das jetzt albern erscheint.
Natürlich verhalte auch ich mich in einigen Situationen nicht richtig, doch genau dann ist Patricia da und spricht im Nachgang das Thema an. Ich versuche dann wirklich, beim nächsten Mal nicht das gleiche Verhalten an den Tag zu legen. Wir sind nicht perfekt und natürlich flippe auch ich aus, wenn ich mit der Situation nicht umgehen kann und habe Marlena schon einige Male nicht gerecht behandelt. Doch was für mich dann wichtig ist, für mich festzuhalten, beim nächsten Mal anders zu reagieren. Denn beim bedürfnisorientierten Verhalten geht es ja um ein Verhalten der Situation und dem Bedürfnis angepasst.
Ich bin ein generell positiv eingestellter Mensch, der manchmal vielleicht mit einer Portion zu viel Leichtigkeit durch das Leben geht, doch in der Erziehung hat mir das bisher sehr geholfen. Denn in der Regel stellen sich Sachen schon so ein, dass es passt, wenn man in die Richtung denkt und handelt, in die man möchte. Ein gewisses Vertrauen in die Kinder ist dabei auch mehr als hilfreich. Wir mussten nicht proaktiv den Schnuller abgewöhnen oder haben stundenlang mit ihr Laufen gelernt, wenn sie sich lieber ein Buch anschauen wollte. Die Kinder wissen meiner Meinung schon, wann es passt und wann nicht. Das ist von der Natur so vorgegeben. Für mich heißt das dann, einfach dabei sein und unterstützen, wenn sie meine Hilfe benötigt. Und dafür muss man eben zu hören. Ein sehr wichtiger Punkt dabei.
Marlena konnte sich schon von Anfang an sehr gut ausdrücken, wenn man ihr zuhört und aufpasst. Wir haben früh verstanden, was sie uns mit Zeichen und “Worten” sagen will und sie konnte früh eigene Entscheidungen treffen (ob wir diese dann auch so umgesetzt haben, lass ich jetzt einmal offen 😀 ). Auch warum es Sachen jetzt nicht gibt oder wir etwas nicht machen, versuchen wir ihr zu erklären und meistens versteht sie es auch. Sie ist ein wirklich tolles eigenständiges Mädchen, das ihre Entscheidungen trifft und das wie ich meist aus dem Bauch heraus. Sie ist jetzt schon so eine starke Person und ich bin mir sicher, wenn wir weiterhin an unserem “Erziehungsstil” festhalten, wird das so bleiben und sie wird weiter zu einer tollen und starken Person reifen, die sich schwierigen Situationen selbstbewusst stellt und weiß, dass ihre Eltern bis zum Schluss an ihrer Seite stehen.