Patricia: Es gibt Bücher, die liest man, fühlt sich unterhalten, legt sie beiseite und vergisst sie. Und es gibt Bücher, die uns nachhaltig prägen. Ich habe ein solches Buch im letzten Monat gelesen. Das Buch “Zuhause“* von Daniel Schreiber. Es kam natürlich schon aus dem Grund auf meine Wunschliste, weil mich das Thema Zuhause eigentlich schon mein Leben lang beschäftigt und ich mir ein wenig erhofft habe, mir selbst gewisse Fragen beantworten zu können. Und ich kann jetzt schon sagen, das Buch hat viele Fragezeichen über meinem Kopf verschwinden lassen. Doch darüber hinaus hat es mich zu einer neuen Kategorie auf dem Blog inspiriert, für die ich auch Stefan sofort begeistern konnte. Willkommen in der neuen Kategorie “Zuhause”. Hier soll es nicht um Themen wie Interior gehen, sondern um die Suche und das Finden des Ortes, an dem wir leben wollen. Denn den haben wir noch nicht gefunden.
Heute wollen wir euch zum Start dieser Kategorie mit unsere und sogar in die Vergangenheit unserer Vorfahren nehmen. Ja, es wird persönlich. Nicht nur heute – die ganze Kategorie ist eine sehr persönliche. Also lasst uns einfach zurückreisen und euch erklären, warum sowohl Stefan als auch ich uns wünschen ein Zuhause zu finden.
Ein Blick in die Familiengeschichte
Patricia: In “Zuhause” schreibt Daniel Schreiber über die Fluchtgeschichte seiner Ahnen und stellt auch die Frage, wie viel die Entwurzelung durch Flucht auch mit unserer eigenen Gegenwart zu tun hat. Da ich in der Vergangenheit auch schon Erfahrungen mit Familienaufstellungen gemacht habe und immer wieder beobachten konnte, wie sich gewisse Themen durch mehrere Generationen von Familien ziehen, kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Geschichten und Erfahrungen unserer Vorfahren Einfluss haben auf unser eigenes Leben. In meiner Familie ist es zum Beispiel, zumindest auf der mütterlichen Seite, schon fast ein Hobby umzuziehen.
Begonnen hat dieses Umzugsthema leider auch mit einer Flucht. Meine Oma musste als Dreijährige mit ihrer Familie aus dem heutigen Tschechien fliehen. Sie landeten in Sachsen-Anhalt, wo sie sich ein neues Leben aufbauen mussten. Doch meine Oma blieb nicht in der neuen Heimat, sondern zog danach noch in vier weitere Städte und natürlich innerhalb dieser auch mehrfach um. In der nächsten Generation, bei meiner Mama und Tante, ging es ebenso weiter und auch bei mir.
Stefan: Auch meine Uroma mütterlicherseits ist damals mit ihren drei Kindern aus dem jetzigen Polen vertrieben worden und mit dem Bollerwagen bis ins beschauliche Sachsen-Anhalt geflohen. Und anders sah es in der Familie meines Vaters auch nicht aus. Genau das Gleiche hat meine Oma, also die Mutter meines Vaters, auch durchlebt und ist mit ihrer Familie von Stettin aus bis in die Altmark geflüchtet. Irgendwie kennt ja leider fast jeder diese Geschichte in der eigenen Familie.
In meiner Familie wurde eigentlich nie groß über das Vertreibungsthema gesprochen und erst in den letzten Jahren hat meine Oma mehr dazu erzählt, wie es war, sich überall als Aussätzige zu fühlen und keine richtige eigene Bleibe zu haben, sondern irgendwo bei Leuten einquartiert zu werden, ohne dass diese das wollten.
In meiner Familie hat sich das in den nächsten Generationen, was den Heimatbezug betraf und den Wunsch zu bleiben, doch sehr gespalten. Mütterlicherseits sind meine Mutter und ihr Bruder immer in der Altmark geblieben und konnten sich auch nach meinem Empfinden nie vorstellen, woanders hinzuziehen. Väterlicherseits ist die Hälfte auch in der Altmark geblieben und die andere Hälfte weit weg gezogen, ein Onkel hat sogar gefühlt in der halben Welt gelebt.
Ein Versuch Wurzeln zu schlagen
Patricia: Wenn ich danach gefragt werde, wo ich herkomme, wo meine Heimat ist, dann sage ich eigentlich immer: “Aus Sachsen-Anhalt”. Denn ich habe die ersten 11 Jahre meiner Kindheit in Zerbst, im südöstlichen Sachsen-Anhalt und meine Jugend in Stendal, im nordwestlichen Sachsen-Anhalt, gelebt. Eine richtige Heimat gibt es für mich gar nicht mehr – keinen Ort, an den ich “nach Hause” fahre. Denn niemand aus meiner Familie lebt noch dort, wo sie gelebt haben, als ich ein Kind war. Nun könnte ich doch eigentlich froh sein, überhaupt noch Familie zu haben, die ich besuchen kann und das bin ich auch. Aber trotzdem erwische ich mich dabei, wie ich manchmal ein kleines bisschen wehmütig und sogar neidisch bin, wenn ich von jemandem höre, dass er “nach Hause” fährt. Das ist dann meistens ganz romantisiert das Elternhaus, in dem auch noch das Kinderzimmer mit all den Erinnerungen wartet. So etwas hab ich nicht. Ob es mich wirklich glücklicher machen würde, wenn es das gäbe – ich glaub es nicht wirklich. Aber irgendwie wünsche ich mir so etwas für unsere Mädels. Ich möchte ein Heim für sie und natürlich auch für uns als Familie schaffen. Ich möchte versuchen Wurzeln zu schlagen.
Stefan: Das Leben hätte für mich nicht noch altmärkischer geplant sein können. Denn eigentlich war durch den Hausbau meiner Eltern klar, ich werde ein Dorfkind, 10 Kilometer entfernt von der nächsten Kleinstadt. Und ich denke, so wäre es auch geblieben, bis ich meine Schule abgeschlossen hätte.
Doch durch den Tod meines Vaters während der Hausbauzeit, ist das Haus nie fertiggeworden und meine Mutter hat den Rohbau verkaufen müssen. Dieser Wandel und der Umzug in die nächste Kleinstadt und in eine Wohnung, haben irgendwie dazu geführt, dass sich dieses Heimatgefühl nicht einstellen wollte. Sehr oft habe ich mir in der Kindheit vorgestellt, wie es wohl gewesen wäre, wenn alles nach Plan A gelaufen wäre. Während des Studiums in sein altes Zimmer zurückzukommen, um die Eltern zu besuchen, im eigenen Garten meiner Eltern für die Klausuren zu lernen oder meine Kinder Oma und Opa vorbeizubringen, wo sie im Garten schaukeln und im Sandkasten spielen können.
Doch so ist es leider nicht gekommen und so wünsche ich mir das wirklich so sehr für meine Kinder. Immer neben den Menschen auch einen Ort oder ein Haus zu haben, mit denen man Heimat verbindet.
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